Maßgeschneiderte verschleißfeste Verbundbauteile durch Additive Manufacturing und heißisostatisches Pressen

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Simone  Herzog © Urheberrecht: IWM

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Simone Herzog

Gruppenleiterin Entwicklung Werkzeugwerkstoffe

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Problemstellung

Die pulvermetallurgischen Verfahren Additive Manufacturing (AM) und Heißisostatisches Pressen (HIP) können vielfältig kombiniert werden. Zwar wird HIP bereits genutzt, um mechanische Eigenschaften wie z. B. Dauerfestigkeit von AM-Bauteilen zu verbessern. Aber erst eine umfassende Prozesskette unter Hinzuziehung einer numerischen Simulation ermöglicht es, einfach und flexibel Hochleitungsbauteile zu fertigen, die konventionell nur mit sehr hohem Aufwand möglich wären.

Ziele

  • Ermittlung von wissenschaftlich und wirtschaftlich optimalen Parametersätzen zur additiven Verarbeitung von verschleißfestem, hochkohlenstoffhaltigem Stahl durch Powder Bed Fusion - Electron Beam und Metal Binder Jetting
  • Adaption bestehender FEM-Ansätze zur Geometrieoptimierung der additiv gefertigten Kapseln durch Bestimmung von Werkstoffparametern
  • Entwicklung einer HIP-geeigneten Löttechnologie zum Fügen eines Pulverfüllrohrs an Kapselwerkstoffe mit geringer Schweißeignung
  • Ausarbeitung einer geeigneten Wärmebehandlungsroute zur Vergütung der Verbundbauteile bestehend aus verschleißfestem und Warmarbeitsstahl
  • Fertigung und Qualifizierung eines industrierelevanten Demonstrators

Vorgehensweise

Im IGF-Projekt 21074 BG wurde ein Weg aufgezeigt, komplex geformte, verschleißfeste Verbundbauteile endkonturnah zu fertigen. Dazu wurde eine HIP-Kapsel aus einem verschleißfesten Stahl aufgebaut, mit einem zähen Vergütungsstahlpulver gefüllt und zu voller Dichte konsolidiert. Die durch HIP hervorgerufene Verdichtung und Verformung werden vor der AM-Fertigung durch eine numerische Simulation berücksichtigt und der Kapselgeometrie aufgeschlagen. Nach dem HIP liegt das Bauteil nahezu in Endabmaßen vor und muss nur noch an Funktionsflächen nachbearbeitet werden.

Im Vorgängervorhaben wurde erfolgreich das prinzipielle Vorgehen mit einem monolithischen Bauteil aus einem rostfreien, austenitischen Stahl gezeigt. Mit dem genutzten AM-Verfahren Laserstrahlschmelzen (PBF-LB) war es allerdings nicht möglich, den hochkarbidhaltigen verschleißfesten Stahl FeCrV10 rissfrei zu verarbeiten.

Im nun abgeschlossenen Projekt wurden deshalb im ersten Schritt die beiden AM-Verfahren PBF-EB und BJT auf ihre Eignung zur Verarbeitung von hochkohlenstoffhaltigen Stählen evaluiert. Dazu wurden zwei verschiedene Werkstoffe ausgewählt: der verschließbeständige Hartstoff Ferro-Titanit in der Spezifikation Nikro128® (Marke der DEW) und der martensitische karbidreiche Kaltarbeitsstahl FeCrV10.Schließlich wird ein Verfahren ausgewählt, mit dem ein komplex geformtes, verschleißfestes Demonstratorbauteil aufgebaut und charakterisiert wird. Sämtliche Arbeiten sowie Werkstoffauswahl und die Festlegung der Demonstratorgeometrie wurden stets in enger Abstimmung mit dem PA durchgeführt.

Ergebnisse

Metal Binder Jetting

Beide Werkstoffe können mittels Metal Binder Jetting verarbeitet werden. Insgesamt zeigt sich, dass die erreichbaren Eigenschaften maßgeblich von den Eigenschaften des Pulvers und dessen Verarbeitbarkeit abhängen.

Der Werkstoff Nikro 128® lässt sich in der Partikelgrößenverteilung 0-20 µm mittels Metal Binder Jetting verarbeiten und bei einfachen Probengeometrien zur hohen Dichte sintern. Für einen robusten und reproduzierbaren Prozess wird jedoch ein Pulver mit höherer Fließfähigkeit benötigt, um eine höhere Grünteildichte und einen konstanteren Pulverauftrag zu erreichen. Dies erfordert jedoch tiefgehende Eingriffe in die Herstellung des vom PbA bereitgestellten Pulvermaterials.

Bei der Verarbeitung des FeCrV10 oxidiert das Pulverbett beim üblichen Curing an Luft aufgrund der nicht korrosionsbeständigen Matrix. Beim Curing unter Argon kann die Korrosion vermindert werden und die Grünteile lassen sich defektfrei entpulvern. Durch die gute Fließfähigkeit des Pulvers (Hausner-Faktor von 1,21) kann das FeCrV10 bei einer höheren Auftragsgeschwindigkeit ohne einen Abfall der Pulverbett- und Grünteildichte verarbeitet werden. Die Abbildungsgenauigkeit und die Festigkeit der Grünteile ist hoch und lässt das Drucken und entpulvern komplexer Strukturen zu.

Beim Sinterverhalten des FeCrV10 besitzt die Atmosphäre große Auswirkungen auf die Mikrostruktur. Beim Sintern in Flüssigphase unter Stickstoff kann eine vollständige Verdichtung bei geringer Größe der Karbide erreicht werden. Zugleich wandeln sich die ursprünglichen Vanadiumkarbide des Werkstoffs in Karbonitride um und setzen dabei Kohlenstoff frei. Dieser diffundiert in die Matrix. Das Sintern unter Hochvakuum führt zur vollständigen Verdichtung des Werkstoffes. Bei den EDX-Messungen weist die Matrix eine homogene chemische Zusammensetzung auf. Gegenüber der unter Stickstoff gesinterten Probewächst die Karbidgröße aufgrund der höheren Sintertemperatur. Der Werkstoff FeCrV10 lässt sich mit diesen Parametern hervorragend mittels MBJ verarbeiten.

Powder Bed Fusion by Electron Beam

Sowohl das Nikro128 als auch das FeCr10V konnten mittels Powder Bed Fusion by Electron Beam (PBF-EB) verarbeitet werden. Dabei konnten Eigenschaften abgeleitet werden, die sogar über denen des konventionellen Materials liegen.

Der Werkstoff Nikro 128® lässt sich in der Partikelgrößenverteilung mittels PBF-EB verarbeiten. Für eine stabilen Prozess ist eine Doppelbelichtungstechnik erforderlich, bei der die einzelnen Schichten zunächst mit einem defokussierten Elektronenstrahl vorverdichtet und anschließend fokussiert und mit erhöhter Energiemenge erschmolzen werden. Das Überschusspulver ist gekennzeichnet durch den Aufbruch vereinzelter Partikel während des Rakelns bzw. unter der Einwirkung des Elektronenstrahls, wodurch sich eine geringere Fließfähigkeit einstellt. Dennoch können nahezu dichte Proben und vereinfachte Demonstratoren erzeugt werden.

Die Verarbeitbarkeit des FeCr10V-Pulvers mittels PBF-EB ist hinsichtlich einer guten Fließfähigkeit und hohen Prozessstabilität als sehr gut einzuschätzen. Ein Recycling des Überschusspulvers ist problemlos möglich. Zudem können sehr feinkörnige Gefüge mit einer homogenen Verteilung der vorwiegend submikrometergroßen Vanadiumkarbide erzeugt werden (Abbildung 1). Durch eine nachgeschaltete Wärmebehandlung kann die Härte und Zähigkeit des FeCr10V gezielt beeinflusst werden. Das Material besitzt zudem eine herausragende Verschleißbeständigkeit.

  Abbildung 1 Urheberrecht: © IFAM

Abbildung 1: Gefüge des FeCr10V hergestellt mittels (a) MBJ, gesintert bei 1260 °C unter Hochvakuum und (b) PBF-EB nach Wärmebehandlung bei 1020 °C, 1 h und 3 x 540 °C je 1 h.

 
 

Techniken zum Verschließen der Kapseln

HIP-Kapseln erfordern zum Befüllen und Evakuieren ein Füllrohr, das in der Endbearbeitung wieder entfernt wird. Im Gegensatz zu konventionellen HIP-Kapseln aus niedriglegierten oder austenitischen Stählen mit guter Schweißeignung, neigt der Werkstoffe FeCrV10 zur Rissbildung im WIG-Schweißen. Daher wurden drei verschiedene Fügeverfahren für Füllrphre erprobt und hinsichtlich ihrer Gasdichtigkeit und Druckfestigkeit bei HIP-Temperatur sowie Bildung von Sprödphasen verglichen. Diese Fügeverfahren umfassten (1) das konventionelle WIG-Schweißen, (2) einen konventionellen Lötprozess im Vakuumofen mit dem kommerziellen Lotwerkstoff BNi-5 und (3) einen selbst entwickelten induktiven Lötprozess mit einem TLP-Lot (Transient Liquid Phase). Während die Lötung mit dem kommerziellen Lot im aufgrund der langen Prozessdauer im Vakuumofen als teuer einzustufen ist, konnte die Induktivlötung ähnlich schnell wie die TIG-Schweißung innerhalb von 30 Minuten durchgeführt werden. Die Lote wurden als Paste direkt in eine für das Lot vorgesehene Nut in der additiv gefertigten Kapsel aufgetragen, sodass das Füllrohr vor der Lötung lediglich „aufgesteckt“ werden musste. Von jeweils 5 gelöteten Kapseln waren alle Kapseln nach Ofenlötung und WIG-Schweißen gasdicht aber nur 2 Kapseln nach Induktionslötung. Problematisch war die Überhitzung aufgrund der schwierigen Temperaturmessung mittels Pyrometer.

Alle drei Kapselvarianten konnten erfolgreich mit Pulver gefüllt, evakuiert, verschlossen und durch HIP (1150 °C, 100 MPa, 240 Min) verdichtet werden. Abbildung 2 zeigt exemplarische Schliffbilder. Dabei bildeten sich zwar im Bereich der Lötzonen intermetallische Phasen, nachteilige Eigenschaften können jedoch nicht erkannt werden. Zudem liegen beim selbst entwickelten Lotwerkstoff auch Vanadiumkarbide vor und es kann davon ausgegangen werden, dass die hohe Verschleißbeständigkeit des Grundwerkstoffs erhalten bleibt. EBSD-Untersuchungen des FeCrV10 Kapselwerkstoffes zeigten ein zwei-phasiges Gefüge aus Martensit und Vanadium-Monokarbid mit einzelnen Chromkarbiden. Die Härte des Werkstoffs aus den Schweißversuchen beträgt 705±2 HV10, während der Werkstoff aus den Lötversuchen eine höhere Härte von 804±2 HV10 aufweist. Zukünftige Untersuchungen müssen belegen, ob sich das TLP-Löten auch für HIP-Kapseln eignet, die sich z.B. aus komplexen additiv hergestellten Bereichen und einfachen konventionell hergestellten Teilen zusammensetzt.

  Abbildung 2 Urheberrecht: © IWM

Abbildung 2: Probekapseln zur Evaluation von Fügeverfahren nach HIP-Verdichtung.
a) WIG-Schweißen mit AWS A5.28 ER80S-A1Schweißzusatz, b) TLP-Lötung im Vakuumofen mit AWS A5.8 BNi-5 Lot, c) Induktives TLP-Lötung mit AISI A11+3.5wt% Si

 
 

Demonstratorbauteile

Aus dem FeCr10V lassen sich mittels PBF-EB Matrizen für das Pulverpressen erzeugen, wobei die Anzahl der innenliegenden Stützstrukturen und der Aufwand für die Pulverentfernung durch eine geeignete Orientierung der Matrize im Bauraum minimiert werden können (siehe Abbildung 3a).

  Abbildung 3 Urheberrecht: © IWM & IFAM

Abbildung 3: a) Matrize für das Pulverpressen gefertigt mittels PBF-EB, b) Demonstratorbauteile aus dem PBF-EB und MBJ nach der kombinierten Prozesskette aus additiver Fertigung und heißisostatisches Pressen.

 
 

Ausgehend vom PBF-EB dünnwandiger gasdichter Strukturen mit Wandstärken bis unter 500 µm lassen sich darüber hinaus erfolgreich vorausgelegte Extruderschnecken-Demonstratoren drucken (Abbildung 3b). Die 4. Kapsel in Abbildung 3 entstammt dem MBJ-Prozess, die durch das Sintern in einem keramischen Pulverbett formstabil verdichtet wird. Nach WIG-Schweißen des Füllrohrs, Füllung mit 56NiCrMoV7-Pulver und erfolgreicher Evakuierung werden die Kapseln durch Schmieden des Füllrohres gasdicht verschlossen, gefüllt und über das heißisostatische Pressen bei 1150 °C mit anschließender Raschabschreckung zu endformahen Bauteilen verdichtet (siehe Abbildung 3b). Die Abweichung zwischen aus der HIP-Simulation prognostizierter Schwindung und realem Demonstratorbauteil beträgt nur 2 %.

 

Projektpartner

Wir danken dem Fachverband Pulvermetallurgie e.V. (FPM) für die Unterstützung in der Antrags- und Förderphase sowie allen den Unternehmen des projektbegleitenden Ausschusses: Additive Works, GmbH, Ampower GmbH & Co. KG, Barradas GmbH, Bleistahl Produktion-GmbH & Co. KG, Bodycote Specialist Technologies Deutschland GmbH, Coperion GmbH, Cremer Thermoprozessanlagen GmbH, Deutsche Edelstahlwerke Speciality Steel GmbH & Co, FIT AG, Höganäs Germany GmbH, Günther-Köhler-Institut für Fügetechnik und Werkstoffprüfung GmbH, PVA Löt- und Werkstofftechnik GmbH, Quintus Technologies AB.

  BMWi Logo Urheberrecht: © BMWi

Förderhinweis

Das IGF-Vorhaben 21074 BG der Forschungsvereinigung Forschungsgesellschaft Stahlverformung e.V. wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert. Die Langfassung des Abschlussberichtes kann bei der FSV, Goldene Pforte 1, 58093 Hagen, angefordert werden.

 
 

Dokumentation

Im Verlauf des Projekts wurden die aktuellen Forschungsergebnisse von den Forschungseinrichtungen in folgenden wissenschaftlichen Aufsätzen veröffentlicht:

  • S. Herzog, S. Fries, M. Mirz, A. Kaletsch, C. Broeckmann, Vom Pulver zum additiv hergestellten Bauteil, Teil 1: Perspektiven durch heiß-isostatisches Pressen, Werkstoffe 1/2021
  • B. Barthel, M. Mirz, F. Petzoldt, Process Development of Grade A11 High Carbon Tool Steel for Metal Binder Jetting, In Proceedings of World PM 2022, Lyon 12. Oktober 2022 .
  • A Comparative Study on Different Joining Techniques For PM-HIP Evacuation Tubes. WorldPM 2022, Lyon 12. Oktober 2022.
  • M. Franke-Jurisch, M. Mirz, T. Wenz, A. Kirchner, B. Klöden, T. Weißgärber, PBF-EB of Fe-Cr-V Alloy for Wear Applications Materials 2022, 15(5), 1679; https://doi.org/10.3390/ma15051679