Minimierung des Verzugs beim Sintern durch Beeinflussung der Sinterunterlage
Kontakt
Telefon
- work
- +49 241 80 99545
- E-Mail schreiben
Da keine Literaturwerte für die Reibungskoeffizienten bei erhöhten Temperaturen vorhanden sind, wurden die Reibwertmessungen im Rahmen des Projekts in einer systematischen Untersuchung mit Hilfe eines speziellen Versuchsaufbaus durchgeführt. Für die isostatisch (ISO) gepressten Proben aus WC10Co von zwei Herstellern (CER und E6) sind die Reibungskoeffizienten für Haft- und Gleitreibung, die zwischen Proben und den mit Basissuspension KM9195 beschichten Graphitunterlagen bei Raumtemperatur und erhöhten Temperaturen gemessen wurden, als Beispiel in Abbildung 1 dargestellt. Der durchschnittliche Reibungskoeffizient liegt bei 0,35 für die Haftreibung und bei 0,27 für die Gleitreibung. Erwähnenswert ist, dass die Haftreibungskoeffizienten bei Proben von beiden Hersteller mit steigenden Temperaturen stark zunahmen. Bei den erhöhten Temperaturen wurde die Sinterschwindung durch die hohen Reibungskräfte verhindert, wodurch es zu einem messbaren Sinterverzug komplex geformter Bauteile kam.
Abbildung 1: Reibungszahl zwischen Proben aus WC10Co und den Graphitunterlagen mit Beschichtung von Basissuspension KM9195.
Auf Basis der erhobenen Daten für die werkstoff- und temperaturabhängigen Reibwerte wurden Sintersimulationen mit den Bauteilgeometrien durchgeführt. Zur numerischen Simulation des Sinterns gibt es unterschiedliche Modelle, die sich in phänomenologische und physikalische Methoden unterteilen lassen. Am IWM wird hauptsächlich mit Sintermodellen gearbeitet, die auf dem phänomenologischen Modell nach Olevsky basieren. Phänomenologische Modelle beruhen auf rheologischen Parametern, die an Versuchsreihen mit gesinterten Proben bestimmt werden können, und eignen sich daher besonders für eine breitere Palette von Werkstoffen, da die Anzahl an Werkstoffparametern überschaubar ist. Im Gegensatz dazu benötigen physikalische Modelle eine Vielzahl an schwer zu bestimmenden Werkstoffparametern, da diese Modelle z.B. Korngrenzen-, Oberflächen- und Volumendiffusion sowie das plastische Fließen berücksichtigen.
Im Rahmen des Projektes wurden für die numerische Simulation des Festphasensinterns und des Flüssigphasensinterns die Modelle nach Olevsky für den Werkstoff X2CrNiMo17-12-2 und nach Riedel für das WC-Co Hartmetall genutzt. Sie wurden in eine User-MATerial-Subroutine (UMAT) für das FEM-Programm ABAQUS implementiert. Mithilfe des Modells kann die Sinterschwindung für komplexe Bauteilgeometrien berechnet werden. Eine Beispielrechnung zur Validation des Sintermodells ist wie folgend zusammengefasst.
Zur Validation des Sintermodells für das Flüssigphasensintern wurden geschlitzte Hohlzylinder aus WC10Co von Hersteller (E6) gefertigt. Zur Abbildung des Sinterverzugs durch die Sintersimulation wurde das Sintermodell, das mit der Dichte-Temperatur-Kurve der Sinterung einer E6-Dilatomterprobe validiert wurde, für die Rechenstudien verwendet. Die Sinterunterlagen wurden als Rigid Body im Simulationsmodell definiert. Die Reibungskraft wurde nach experimentell ermittelten temperaturabhängigen Reibungskoeffizienten und der Kontaktkraft zwischen den Proben und Sinterunterlagen in der FE-Simulation berechnet und zur Abbildung des Sinterverzugs berücksichtigt.
Abbildung 2: Vergleich der geschlitzten Hohlzylinder Geo3 und Geo4 vor und nach der Sintersimulation.
Abbildung 2 zeigt die Geometrie der Proben vor und nach der Sintersimulation. Die relative Dichte (RD) der jeweiligen Probe geht hierbei aus der farblichen Darstellung der Proben hervor. Im Fall der hohen, geschlitzten Probe lässt sich zudem im gesinterten Zustand eine ungleichmäßige Schlitzbreite über die Bauteilhöhe erkennen. Durch die Modellierung und Simulation unter Berücksichtigung der Einflüsse von Reibung und Schwerkraft konnte die Änderung der Schlitzbreite mit hoher Genauigkeit vorhergesagt werden.
Im Projekt wurden die temperaturabhängigen Reibungskoeffizienten von mehreren Materialienpaarungen ermittelt. Die Reibungskoeffizienten variieren in Abhängigkeit der Materialpaarung. Durch das Einsetzen der Reibungskoeffizienten in die numerischen Modelle, können Reibeffekte präzise abgebildet werden. Die Voraussetzung ist jedoch, dass das Sintermodell zur Vorhersage des Sinterverhaltens anhand der zu simulierenden Proben validiert worden ist. Die Eigenschaften der Proben, z.B. Korngröße und anfängliche Dichte, können die Sinteraktivität stark beeinflussen, was zur Änderung des Sinterverhaltens führen kann. Außerdem sind die Einflüsse von externen Faktoren zu berücksichtigen, z.B. Reibungs- und Schwerkraft. Die Wechselwirkungen zwischen den Eigenschaften der Proben und den externen Kräften führen zum Sinterverzug. Zur Vermeidung oder zur Minimierung von Sinterverzug sollte die Sinterunterlage so ausgewählt werden, dass die Reibung in den Temperaturbereichen möglichst gering ausfällt, in denen die Proben eine hohe Sinteraktivität und somit eine große Sinterschwindung aufweisen.
Bedingt durch Gravitations– und Reibeffekte verursacht das Sintern in manchen Bereichen der Bauteile starken Verzug. Mit dem entwickelten Sintermodell wurde die Sinterung unter Berücksichtigung der Probeneigenschaften und der externen Kräfte simuliert (Abbildung 3). Dieser virtuelle Sinterprozess ermöglicht die Beschleunigung der Entwicklungsphase durch die Anpassung der Grünlingsform. Durch diese Sintersimulation kann im Anschluss an die Konstruktion von Grünkörpern geprüft werden, ob die Bauteile mit der gewünschten Toleranz hergestellt werden können. Werden die Grünkörper mit optimierter Geometrie derart gefertigt, so ist nach dem Sintern von einem endkonturnahen Bauteil auszugehen.
Abbildung 3: Mögliche Einflussfaktoren auf den Sinterverzug beim Sintern.